Ende einer «wahnsinnigen Reise»: Woltemades U21 ohne Krönung

England - Deutschland
© Robert Nemeti/dpa

EM-Finale gegen England

Bratislava (dpa) - Mit leerem Blick nahm Nick Woltemade nach der verpassten EM-Krönung den goldenen Schuh für den Torschützenkönig entgegen. Während die Engländer im blau-weißen Konfettiregen den Europameistertitel feierten, suchte Bayern-Kandidat Woltemade mit seinen Teamkollegen in einem Meer von Familien und Freunden vergeblich Trost im so schmerzhaften Augenblick. Nach einer atemberaubenden Aufholjagd im Endspiel und mitreißenden Turnierwochen tat die Zuneigung der Liebsten im Stadion und zu nächtlicher Stunde im edlen Teamhotel am Ufer der Donau aber gut.

«Die U21 hat die Menschen berührt»

Statt eine rauschende Titel-Party im für Junggesellen-Abschiede berühmten Bratislava zu feiern, mühten sich alle im Tross zu aufmunternden Worten. «Ich bin ein sehr stolzer Trainer einer U21, die sich über zwei Jahre wirklich gesteigert hat, einen super Zusammenhalt hatte, einen super Fußball gespielt hat und sehr viele Menschen in Deutschland berührt und bewegt hat», sagte U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo. Der 46-Jährige rieb sich nach dem Schlusspfiff die traurigen Augen. 

Den Wirbel um Neu-Nationalspieler Woltemade, dessen kolportierter Wechsel zum FC Bayern mitten in die Final-Vorbereitung geplatzt war, machte keiner für das 2:3 nach Verlängerung gegen England verantwortlich. «Nick war schon omnipräsent, aber schon deswegen, weil er so viele Tore gemacht hat», sagte Di Salvo. Die «ganzen Nebengeräusche» seien nicht optimal gewesen, «aber das war jetzt nicht der Grund, warum wir jetzt das Spiel verloren haben».

Einfluss durch Bayern-Wirbel? «Kompletter Quatsch»

Das Endspiel vor den Augen von Bundestrainer Julian Nagelsmann und Englands Nationalcoach Thomas Tuchel auf der Ehrentribüne war die erste Turnier-Partie, in der der sechsfache Torschütze und dreimalige Vorbereiter Woltemade in der Slowakei nicht traf. Das Team hätte den Titel «wirklich verdient gehabt», sagte Nagelsmann. «Der mutige, offensive, leidenschaftliche Fußball hat mir sehr gut gefallen.» 

Dass der Bayern-Wirbel Einfluss gehabt haben könne, bezeichnete Final-Torschütze Paul Nebel als «kompletten Quatsch», während im Hintergrund die Engländer mit Bierflaschen und ihren Siegermedaillen ungeduscht in die Nacht entschwanden. Irgendwie symptomatisch: Nachdem Woltemade im Spiel keinen Weg zum Tor-Erfolg gegen die Young Lions gefunden hatte, bog er beim Weg aus dem Stadion falsch ab und musste sich seinen Weg zum Bus über Stative, Bollerwagen und Kameraausrüstung hinweg bahnen.

Nur Winzigkeit fehlt zum Titel

«Nick war komplett fokussiert auf dieses Spiel, wollte unbedingt mit uns gewinnen», sagte Nebel. Der Mainzer und dessen Vereinskollege Nelson Weiper waren es, die der taumelnden deutschen Mannschaft wieder Leben einhauchten. Denn eigentlich war die Partie nach den früheren Toren von Liverpool-Star Harvey Elliott und von Omari Hutchinson nach nicht einmal einer halben Stunde schon entschieden. England verpasste wiederholt das 3:0, ehe Weiper nach Vorarbeit von Nebel in der Nachspielzeit der ersten Hälfte wieder für DFB-Energie sorgte.

Vortrefflich ließ sich in den Katakomben des nationalen Fußball-Stadions darüber debattieren, wie die Gefühlslage gewesen wäre, wenn Nebel nach seinem Ausgleich in der Nachspielzeit bei einem weiteren Schuss nicht die Latte getroffen hätte. Oder wenn der Lattentreffer des Freiburgers Merlin Röhl kurz vor Ende der Verlängerung drin gewesen wäre. Da stand es durch Englands Joker Jonathan Rowe schon 3:2 für den Titelverteidiger. 

Hilfreich für die Karrieren?

«Fußball ist einfach ein Momentum-Sport», sagte Verteidiger Tim Oermann. Der künftig an Sturm Graz ausgeliehene Leverkusener verspürte «sehr viel Leere». «Es war eine wahnsinnige Reise und deswegen ist es einfach so enttäuschend», sagte der 21-Jährige. Ein Erfolgs-Trip mit 20 Spielen ohne Niederlage nach dem 28. Juni 2023. Und auf den Tag genau zwei Jahre später verliert Deutschland wieder - wieder bei der EM gegen England. 

Mit etwas Abstand werde man sich anders auf die EM zurückblicken, «was das für eine tolle Zeit war, was das für ein Team war», sagte Oermann. «Ich hoffe, da kann auch jeder etwas für seine Karriere mitnehmen - was das ausmachen kann, wenn man so einen Teamgeist hat.» 

Zahlreiche Nagelsmann-Kandidaten

Ähnlich klang Di Salvo, der nach dem Vorrunden-Aus 2023 diesmal mit seiner U21 viel Freude bereitete. Der 46-Jährige erklärte, dass die Jung-Nationalspieler auf dem Weg zu Vielleicht-A-Nationalspielern viel mitnehmen könnten. «Aber dass dann eben auch Kleinigkeiten entscheiden, ob man den ganz großen Wurf macht oder nicht», sagte der Trainer nach einem «brettharten» Turnier. Sein Vertrag läuft bis nach der kommenden EM in Albanien und Serbien. Der Aufbau der neuen U21 beginnt im September.

Nach den Titeln der Generationen um Manuel Neuer (2009), Serge Gnabry (2017) und Florian Wirtz (2021) musste sich der Woltemade-Jahrgang mit Platz zwei begnügen. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Bewertung, dass in dieser U21 und der unglücklich im EM-Halbfinale ausgeschiedenen U19 mit Jugend-Weltmeistern vielversprechende Nagelsmann-Kandidaten sind. 

Wie Matthäus, Littbarski und Völler?

«Wir haben einen sehr guten Nachwuchs und da wird noch einiges nachkommen», sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler. «Ich bin mir sicher, dass wir einige auch in der A-Nationalmannschaft wiedersehen werden.» 

Völler erinnerte schon nach dem Final-Einzug daran, dass man auch als Zweiter einer U21-EM ganz große Erfolge feiern könne. Er, Andreas Brehme, Lothar Matthäus und Pierre Littbarski seien auch acht Jahre später Weltmeister geworden, lautete die mutmachende Prognose des Sportdirektors.

Erst einmal steht für das Nagelsmann-Ensemble die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko an. Außer dem schon zweimaligen Nationalspieler Woltemade hat das Team weitere Turnier-Kandidaten anzubieten. Im Finale boten sich vor allem Weiper und Nebel an.

Nagelsmann: Mehr als Woltemade, Reitz und Gruda

«Diese Mannschaft hat top Spieler und gute Typen, nicht nur Nick Woltemade, Rocco Reitz und Brajan Gruda, die schon bei uns bei der A-Mannschaft dabei waren», sagte Nagelsmann. Gruda und Reitz durften vor der Heim-EM schonmal oben reinschnuppern. 

Der Gladbacher Reitz berichtete von «Glückwünschen, auch von der A-Nationalmannschaft und anderen großen Spielern» für die Turnier-Auftritte. Der 23-Jährige hofft, dass er ihn seine Hochzeit in den kommenden Tagen auf andere Gedanken bringt. Weniger glücklich verlief die Abreise des DFB-Teams - und auch das war ein symbolträchtiges Bild: Der Mannschaftsbus blieb bei der Abfahrt an der Schranke hängen.

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Nick Woltemade (unten) und die U21 verpassen den EM-Titel.© Robert Nemeti/dpa
Nick Woltemade (unten) und die U21 verpassen den EM-Titel.
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Joker-Tor in der Verlängerung: Englands Jonathan Rowe.© Petr David Josek/AP/dpa
Joker-Tor in der Verlängerung: Englands Jonathan Rowe.
© Petr David Josek/AP/dpa
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Sie jubelten erneut. © Petr David Josek/AP/dpa
Sie jubelten erneut.
© Petr David Josek/AP/dpa
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Starkes Spiel - aber kein Titel: Paul Nebel.© Robert Nemeti/dpa
Starkes Spiel - aber kein Titel: Paul Nebel.
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Nick Woltemade wird von DFB-Vize Ronny Zimmermann getröstet.© Robert Nemeti/dpa
Nick Woltemade wird von DFB-Vize Ronny Zimmermann getröstet.
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Trainer Antonio Di Salvo ist stolz auf sein Team.© Robert Nemeti/dpa
Trainer Antonio Di Salvo ist stolz auf sein Team.
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